Erfahrungsbericht über behinderte Hunde

Folgenden Erfahrungsbericht über das Leben mit behinderten Hunden möchten wir Ihnen nicht vorenthalten. Die Vermittlung von Tieren mit Handicap ist für uns bei Vierbeiner in Not e.V. eine wichtige Aufgabe. Da viele Menschen Vorurteile und Ängste haben, möchten wir euch diesen Text ans Herz legen, der eine echte Liebeserklärung an Handicap Tiere ist!

DIESER SCHATZ KANN ALLES!
(außer Hochdeutsch, denn er ist jetzt Schwabe…)

Das Leiden

Mein Traumhund ist 7 Jahre alt, misst 63 cm Schulterhöhe und wiegt 35 kg. Er wurde zusammen mit seinen Wurfgeschwistern gefunden und ins Tierheim gebracht. Mein Schatz war von einer Hinterhandlähmung betroffen und seine Prognose war schlecht. 5 Monate vielleicht noch, er war viel zu dünn und seine gesamte Hinterhandmuskulatur war abgebaut. Grund genug, diesem Hund seine Chance zu geben. Der Winter in einem russischen Tierheim ist bei bis zu -30 Grad für einen gelähmten Hund das Todesurteil, denn seine Hinterbeine und Teile des Körpers haben ständig Bodenkontakt und frieren im schlimmsten Fall sogar fest. Die Hunde bekommen Unterkühlungen und Wunden an den Beinen vom sich unentwegt Herumschleifen, um der Kälte irgendwie zu entkommen. Die meisten ehrenamtlichen Pfleger dort haben nicht die Zeit, um regelmäßig die Blase der gelähmten Hunde zu entleeren, was zu so genanntem Reflux führt und die Nieren zerstört. Das vergiftet den Körper und die Hunde sterben qualvoll.

Die Rettung

Das war vor vier Jahren. Mein Liebling ist über die Tierschützerin Anja Laupichler und mit Hilfe des Newsletters von Rettet das Huhn e.V. als Notfall zu mir gekommen und mit seinem von ihr gesponserten Rollstuhl direkt in mein Herz gefahren. Im Grunde stellt ein Rollstuhlhund keine extravaganten Aufnahmebedingungen. Auch das oft geforderte Haus mit Garten ist zwar schön, aber nicht obligatorisch, so wie für jeden Hund. Wir wohnen im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses, allerdings mit Aufzug, sonst wären die 35 kg, die der Hund auf die Waage bringt, zu schwer zum Tragen. Ein kleinerer Rollihund kann auch die Treppen getragen werden. Wichtig ist, dass man genug rausgeht, dem Tier Zeit schenkt und gemeinsame Unternehmungen macht, wie z. B. schwimmen gehen und auch mal ohne Rollstuhl auf der Wiese toben lassen. Dann kann auch ein Rolli-Hund absolut glücklich und ausgelastet in einer Wohnung ohne Garten leben. 

Die Ankunft

So landete der hübsche blonde (Schäfer – Boxer – Tibetmastiff – Korean Jindo – Finish Lapphund – Persischer Windhund – Kavalier Kind Charles Spaniel – Rat Terrier- ? – Mix-) Rüde, der mehr als neun Rassen in seiner DNA trägt, damals bei mir und meinen Tierschutz-Katzen, die er sehr liebt… Seither hat er sich nicht verschlechtert, im Gegenteil. Alle seine Wunden sind längst verheilt. Er hat 8 Kilogramm Muskulatur aufgebaut und ist sehr fit. Er läuft in seinem Rollstuhl locker 8 km, rennt gerne und will immer vorne laufen. Wie die meisten Hunde aus dem Auslandstierschutz ist er super sozialisiert. Er ist fröhlich und selbstbewusst. Er braucht keinen Behindertenbonus, denn er fühlt sich nicht behindert. Hunde haben uns Menschen da einiges voraus, und ich versuche, von ihm zu lernen.

Die Herausforderungen

Besonders schwer haben es große Hunde, die eine Behinderung haben, Menschen zu finden, die den Mut haben, sie aufzunehmen. Doch ohne Grund, wie ich finde. Das Zusammenleben mit meinem großen Rollihund ist wesentlich unkomplizierter als befürchtet. Es ist sogar irgendwie einfacher als mit einem gesunden Hund. Er liebt es lange spazieren zu gehen, gibt sich aber auch mal mit weniger zufrieden. Pausen dienen auch seinem Muskelaufbau und der Regeneration. Pipi macht der kooperative Rüde mit wenigen helfenden Handgriffen, die wirklich leicht von jedem Laien erlernt werden können, in einen Eimer. Das ist toll, wenn es draußen regnet und stürmt. Er ist auch stuhlinkontinent. Parkett- oder Fließenboden statt Teppich war Voraussetzung für seine Aufnahme. Jedoch haben sich Frauchen und Hund inzwischen so aufeinander eingestellt, dass der Hund mit einer kleinen Reflexauslösung dreimal täglich auf eine Unterlage macht. Es ist nicht viel anders als ein Baby zu wickeln. Und die Diskussion ums Tütchen draußen gibt es so auch nicht, wir sind fein raus.

Je nach Stelle, an der die Hunde Verletzungen, Unfälle oder häufig auch Anschläge durch Menschenhand erlitten haben, oder in diesem Fall, es eine Generkrankung ist, sind die Hunde entweder komplett oder inkomplett gelähmt. Manche Hunde zeigen noch Bewegungen der hinteren Gliedmaßen oder nicht, sind entweder blasengelähmt (muss dann ausmassiert werden), sind inkontinent (dann kann man eine Windel oder Rüdenwindel anziehen) oder können noch selbstständig Pipi machen, und brauchen Unterstützung oder nicht beim großen Geschäft.

Die Ausstattung

Für alles gibt es heutzutage gute Lösungen. Von den Kosten kommt bei einem Rollstuhlhund nur die Anschaffung für den Rollstuhl, Schutzschuhe und evtl. Windeln auf einen zu. Mehr nicht (Edit: manchmal Physiotherapiekosten.) Bei einigen anderen Behinderungen weichen die Haltungskosten gar nicht von denen eines nicht behinderten Hundes ab. Wichtig ist, dass der Hund keine Schmerzen hat und man dessen Fähigkeiten so lange es geht unterstützt und fördert. Alles was physiologisch ist, ist am besten. So dass bei meinem Hund durch Paddel-Impulse in den Beinen mit Hilfe von Gummibändern (Biko-Expander) normale Gehbewegungen mit allen vier Beinen auf dem Boden wieder möglich wurden. Vor der Behandlung, die von einem guten Physiotherapeuten angeleitet und dann kostenlos zuhause selbstständig fortgeführt werden kann, waren seine Beine im speziellen, mittlerweile problemlos überall zu bestellenden Hunde-Rollwagen (z. B. Walkin Wheels bei Ortocanis), hoch gebunden. So können auch Hunde, die eine komplette Lähmung haben, die Qualitätssteigerung in der Bewegung durch einen Rollstuhl nutzen. Das Spazierengehen wird zur Leichtigkeit und der Hund kann sich wieder artgerecht viel und selbstbestimmt bewegen. Für meinen Schatz gibt es nur zwei Dinge, die er nicht tun kann: auf Bäume klettern und „Sitz“ machen für ein Leckerli, aber dafür haucht der Charmeur ein unwiderstehlich süßes „Hallo“, um an die Belohnung zu kommen. Er ist also kreativ. Vom Wesen her, außer natürlich dass er der tollste Hund der Welt ist, ist er ein ganz normaler Hund, der Kontakt zu anderen Hunden braucht und von diesen im vollen Umfang akzeptiert wird. Ganz so gut sieht es mit der Akzeptanz mancher Menschen leider nicht aus. Mit der Zeit lernt man aber, damit umzugehen. Schaut man meinem Hund ins Gesicht, sieht man, dass er glücklich ist. Ansteckend glücklich und lebensfroh. Ihn zu adoptieren war die beste Entscheidung meines Lebens!

Der zweite Handicap Hund

Inzwischen wurde in unserer Familie noch ein weiterer Hund aufgenommen. Wie sollte es anders sein – ein behinderter Hund – er ist auch aus dem Auslandstierschutz und er ist blind und hat Epilepsie. Der kleine Podenco-Mischling hat sich regelrecht eine innere Landkarte erschnüffelt. Jeden Zentimeter seines Weges und seiner Gegend musste er untersuchen. Inzwischen rennt und flitzt er wie – und mit – den anderen Hunden auf der Wiese herum und spielt Fangen – nur, dass er der Schnellste ist von allen. Hunde können den Ausfall einer Sinnesfähigkeit sehr gut kompensieren. Der Geruchssinn ist für viele von ihnen der wichtigste Sinn. Orientierung bekommen sie außerdem durch ein hervorragendes Hörvermögen und dadurch, dass sie ihre Vorderbeine hoch anziehen. Das wirbelt den Boden auf, und sie verschaffen sich so Informationen über den Belag, auf dem sie gehen.

Blinde Hunde

Hilfe und Tipps zu behinderten Hunden gibt es im Internet massig zu finden. Anfangs trug ich ein kleines Glöckchen ums Fußgelenk, damit er mich jederzeit orten konnte. Mittlerweile ist das nicht mehr nötig, denn er weiß genau, wen er vor sich hat…und wer die besten Leckerchen in der Tasche hat, das kann er riechen. Als Podenco – Jack Russel – Zwergpudel – Otterhund – Australian Cattle Dog – Cairn Terrier – Dandy Dinmont Terrier- ? – Mix hat er einen ausgezeichneten Gehör- und Geruchssinn. Eines macht einen blinden Hund für mich noch zu etwas besonders Wertvollem: die Gewissheit, welche Wichtigkeit sanfte liebevolle Berührungen für einen blinden Hund haben. Auch dieser Sinn wird natürlich verstärkt wahrgenommen. Was für ein Geschenk wenn man das Vertrauen spürt, mit dem sich der Hund sanft an einen kuschelt, um absolute Geborgenheit zu empfinden! 

Das Fazit

Ich würde mich immer wieder für einen behinderten Hund aus dem Auslandstierschutz entscheiden und ich kann nur jedem Mut machen, das zu wagen. Nicht nur, weil sie die Ärmsten unter den Armen sind, solange sie heimatlos sind, sondern weil das Leben mit ihnen einfach Spaß macht und sie einem so viele wunderschöne Momente schenken!
Auch unter behinderten Hunden gibt es absolute Anfänger-Exemplare, wie mein Rollihundrüde beweist, der Ersthund ist. Ein treuer und liebevoller, gutmütiger Begleiter durch Dick und Dünn, der es mich täglich spüren lässt, dass er dankbar ist, mich als Freund zu haben.